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Der Wert des Alpinismus liegt im Erleben der Natur dort, wo sie sich aus Fels und Eis ihr großes Symbol schuf: den Berg. Der Kämpfer findet in der Vielheit der Berggefahren den Sieg. Der Betrachter die Harmonie der Formen und Farben. Der Müde die verklärte Ruhe. So sei dieses Buch ein Ruf für die Berge.

aus: Luis Trenker, "Meine Berge"


Für alle Herzensschäden, für Stadtfieber und jederlei andere Zwietracht in der eigenen Brust gibt es kein besseres Rezept als dieses: fort in die Einsamkeit, fort ins Gebirge, hinauf in ein stilles Tal.

aus: Walter Pause, "Segen der Berge"


Trotzdem bin ich bei meinem Umweg über die Berge viel weiter gekommen, als wenn ich den flachen Pfaden gefolgt wäre. Es ist egal, welchen Berg man besteigt, oben wird man immer weiter sehen.

aus: Reinhard Karl, "Erlebnis Berg, Zeit zum Atmen"


Du sollst dir Zeit lassen und nicht mit dem Minutenzeiger um die Wette laufen. Du sollst die Berge nicht durch Rekordsucht entweihen, Du sollst ihre Seele suchen.

aus: Luis Trenker, "Meine Berge"

Irgendwann war mir klar geworden, was Franz mit seinem Buchtitel 'Bergsteiger ohne Maske' sagen wollte. Daß die Menschen nach einem langen Marsch, nach einer schweren Tour, bei einem Glas Wein oder einer Flasche Bier plötzlich unverfälscht vor einem stehen. Daß, wenn jemand seinen Alltag vergißt, seine Sorgen für kurze Zeit in einer Wand zurückbleiben, daß dann sein wahres Inneres zum Vorschein kommt.

aus: Charly Wehrle, "Bergsteiger ohne Maske"



August 2018:   Klettern in Traumfels: das Abenteuer Schwarze Wand

Das Jubiläumsbuch



An irgendeinem Tag im Sommer 2010 herrschte mäßiges, aber nicht bodenloses Wetter. Und so stapfte ich durch die Höllentalklamm zum Höllentalanger und zur Einkehr auf der gleichnamigen Hütte. Einen kleinen Fotoapparat hatte ich dabei, das Wetter war schlechter als nur "mäßig", aber für ein paar Bilder der umstehenden Wände hat's gereicht. Von einer "schwarzen Wand" war im alten Wettersteinführer zu lesen, von gutem Fels wurde berichtet, aber nur von einer einzigen Tour. Ob da wohl noch was ginge?

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Aber was war das für eine Wand. Eine Wand wie ein Strich! Kompakt, senkrecht, immer wieder Überhänge... Ob da was ginge?

Zu Hause die Fotos studiert - und was war das? Hmm. Vor Ort aus der Entfernung für das bloße Auge nicht erkennbar, schien es, als hinge da ein Fixseil, das mitten durch die Wand verlief. Es verging einige Zeit und ich zeigte die Bilder im Bekanntenkreis. "Daaa möchtest du...!" So erfuhr ich von "Aufgeben ist nicht die Aufgabe", einem mittlerweile ewigen Projekt von Stefan Glowacz, oder von einer "Black Beauty", und daß dort der zehnte, elfte Grad angesagt ist. Nein, daaa wollte, besser gesagt konnte ich sinnigerweise nicht...

Es vergingen ein paar Jahre.


"Und wenn's vielleicht doch net so schwer wär'?" Irgendwie wollte sich dieses Prinzip Hoffnung nicht unterkriegen lassen. "Und wenn der Franz dabei wäre, dann iss ja schon noch Luft nach oben." Der Franz willigte ein und im Frühsommer 2014 stiegen wir ein erstes Mal in die Wand ein.

Dem Einstiegsband folgten wir knappe zehn Meter, danach steil und geradlinig nach oben. Sehr griffig sah alles aus und oftmals, dort wo kurze Risse vorlagen, stimmte das auch.

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Der Lochwandcharakter - wonach es von unten aussah - ließ allerdings sehr zu wünschen übrig. Aus der Nähe betrachtet blieben von den Löchern nur enttäuschende Dellen übrig, und nicht einmal eine g'scheite Kante hatten sie. Obwohl sie eine der leichteren ist, kostete gleich die erste Seillänge ein gutes Quant Vorstiegsmoral: einfach vom Haken wegklettern, im Vertrauen darauf, daß schon wieder eine Bohrposition kommt. Dazu passend: abgerundet wird die Länge durch einen ungemütlichen Hängestand im aufsteilenden Gelände.

Vom Stand linkshaltend weiter - gar nicht so leicht. Gleich einen Haken? Nein, höhersteigen bis zur nächsten Bohrposition! Gut gesichert, aber keine Hakenrassel war die Devise. Die Seillänge zog ganz schön an und die nächsten Haken lassen sich richtig schwer setzen. Immer gerade weiter: zuletzt an einem Überhang ein paar Züge nach rechts ausquietschen, bequemer Stand auf einem Podest.

Noch zwei Haken in der dritten Seillänge gesetzt, danach war unklar, wie es am besten weiter geht. Zurück zum Stand und das war's für heute. Unten und aus der Entfernung würde man das besser erkennen.

Termine, Termine: das nächste Mal an der schwarzen Wand war ein Jahr später, im Sommer 2015. Die dritte Seillänge erwies sich als luftig, aber bis auf eine Stelle nicht besonders schwer. Das änderte sich in Nummer vier: das Anbringen der ersten beiden Haken erwies sich als extrem anstrengend: wie schon in der zweiten Länge bis kurz vor dem Erbrechen.

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Eine kleine Zange - Franz hält sie in der linken Hand - mußte als Bohrgriff herhalten. Aber gottseidank: danach noch einige schwere Meter und die Seillänge wurde nun zunehmend leichter. Luftig, aber entspannt ging es zum vierten Stand.

Eigentlich - so war der Plan - sollte es vom Stand nach links weitergehen, was auch nicht besonders schwer aussah. Aber danach nach oben weiter - das sah überall sehr böse aus. Wir wollten die Route nicht verbohren, deshalb an dieser Stelle wieder hinunter und später aus der Entfernung Wand und Wandfotos studieren.

Bis zum nächsten Mal dauerte es ein weiteres Jahr. Mittlerweile war es bereits anstrengend, bis zum Umkehrpunkt zu gelangen.

"Vom Stand gerade hoch und in einer Rechts-Links-Schleife auf ein schmales Band. Von dort leicht links weiter und in möglicherweise sehr leichtem Gelände zu einem sperrenden Bollwerk und darüber hinweg..."

So hatten es zumindest Wandfotos nahegelegt.

Vor Ort stellte sich das so dar: vom Stand weg war es wohl nicht allzu schwer, aber von den Überhängen tropfte es herab. Was da daherkam war kein Wasser, wie ein lehmiger Baatz lag es auf dem Fels und wartete auf mich. Beim letzten Mal war hier nichts, und auch in allen späteren Begehungen war hier alles sauber. Heute, als das Teilstück fallen sollte, wieß uns die Wand mit widerlichem Schleim ab. Im Überhang den ersten Haken gesetzt und dann begann ein Spiel, das von den ersten Längen schon bekannt war: was aus der Entfernung aussah wie eine bombastische Lochwand mit Griffen in Hülle und Fülle, das war - aus der Nähe betrachtet - eine Ansammlung von Nichts.

Jetzt allerdings viel schwerer als alles, was ich jemals geklettert bin. Sechs Haken später erreichte ich nach einer Rechts-Links-Schleife ein schmales Band und setzte einen weiteren Zwischenhaken: "...von dort leicht links weiter und in möglicherweise sehr leichtem Gelände..." So war der ursprüngliche Plan und tatsächlich: leicht links zog ein stumpfer Riß hoch, bestimmt kaum schwerer als 6+, danach leichter werdend. Ein paar Versuche weiter zu steigen - und jedesmal zurück zum letzten Haken. Heute, vielleicht 18, 20 Meter nach dem Umkehrpunkt hieß es: "Spieler schwach wie Flasche leer". Zum Zwischenhaken einen weiteren gesetzt - es werde Stand.

Franz kam nach, noch zwei Versuche und dann war klar: heute geht nichts mehr, selbst sichern überfordert mich. Runter!

"...als erstes muß ich eine Bandschlinge in den Gurt hängen, dann diese mit einem Schrauber in den Stand. Zuschrauben. Paßt alles? Okay, und jetzt..." In diesem Stil ging es Handgriff um Handgriff, von Stand zu Stand nach unten. Was sonst Routine ist, wollte heute bis ins Detail überdacht und geprüft sein.

Vom dritten Stand kommt man nicht bis zum Wandfuß. Also noch einen Abseilstand eingerichtet. Was in meinem Zustand gar nicht so einfach war, immerhin muß man die Wand aufgrund der Steilheit erst anpendeln und sich beim Bohren selbst da noch plagen. Und dann: unten!

Auch in diesem Jahr gab es keinen weiteren Anlauf, und auch nicht im darauf folgenden. Seit der fünften Seillänge bereitete das durchaus gemischte Gefühle: wie lange werde ich so etwas überhaupt noch gehen können? Einerseits! Aber andererseits auch: gottseidank, dann muß ich mich wenigstens nicht über die Monsterlänge hinwegplagen!

Es folgte das Jahr 2018! Da war es schon einmal günstig, daß ich zumeist schon am Vortag zur Höllentalangerhütte hochging und dort übernachtete. Den schweren Bohrkram-Rucksack zum Wandfuß schleppen führte zwar immer noch zu ein paar Schweißperlen auf der Stirn. Aber am Einstieg bereits angezählt - das war ich im Gegensatz zu den Vorjahren nicht.

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Und das "oben-Übernachten" hatte noch einen Nebeneffekt: den angebrochenen Nachmittag konnte ich nutzen, um meine "Berg-Blumen-Datenbank" weiter zu ergänzen.

Erstes Juniwochenende 2018: Wand trocken, Temperaturen angenehm und Steigklemme sei Dank gar nicht soo schwer. In der gefürchteten Seillänge Nr. 5 bin ich ein paar Mal senkrecht aus der Wand geschossen, aber gut: anderswo muß man für so einen Spaß sogar bezahlen.

Am Umkehrpunkt übernahm ab jetzt Franz die Bohrerei. Im Unterschied zum alten Plan drängte Franz nach rechts. Das bedeutete: ein 20m-Quergang in nahezu strukturlosem Fels!

ein exponierter Quergang...

Je weiter rechts, desto schwieriger wurde das Gelände. Auch Franz kam ins Stocken und mußte sich richtig plagen. Was natürlich nichts Gutes für mich bedeutete :-))

Am Ende des Quergangs wartete eine steile Lochwand, doch den Trick mit den Löchern kannten wir ja schon. Vom letzten Quergangshaken zu dieser Lochwand war es besonders knifflig. Dann - Zeichen und Wunder - hielten diesmal die Löcher, was sie optisch versprachen: zehn Meter sehr schöne Kletterei bis zu einer "interessanten" Kante, Stand.

"Nachkommen". Manchmal birgt dieses Seilkommando auch etwas Furchteinflößendes - und heute war das so. Ein Quergang im achten Grad: mehr sog' i net :-))

An diesem Stand endeten die Hauptschwierigkeiten. Es folgte eine leichte siebte Seillänge, die stellenweise alpiner angehaucht war, als die Route bislang. Dafür brachte sie uns zurück in eine gut abseilbare Linie. Schluß für heute.

Nur zwei Wochen später folgte Anlauf Nr. 5 mit ein paar Passagen 7- und 7 und auch in dieser Seillänge wieder alpine Teilstrecken, nix für Anreißer. Die anschließende 9te Seillänge lotet noch einmal die obere Grenze des siebten Grades aus - und hätte uns ein nahendes Gewitter nicht zum Rückzug gezwungen, wären wir wahrscheinlich am gleichen Tag noch mit der Route fertig geworden. So aber: schnell hinunter! Kaum waren wir am Einstieg, legte das Gewitter richtig los, begleitet von heftigen Niederschlägen. Durch die Steilheit der Wand geschützt, saßen wir gemütlich unten und warteten im Trockenen das Ende des Regenvorhangs ab.

Anfang August mußte es dann klappen! Der neunten Länge fehlten noch fünf sechs Meter. Nummer zehn war kurz und leicht, wenn auch recht alpin. Fertig?

Wie sich herausstellte war die Felsqualität oberhalb gruselig: Sondierungsschläge mit dem Kletterhammer sagten: "hier hohl". Weiter rechts "hohl", ein paar Meter links "hohl", oberhalb "hohl". Es schien, als wäre die Wand großflächig mit einer locker verbundenen Felshaut überzogen. Hier Expansionshaken setzen?

Die Tour sollte nach Möglichkeit sicher sein, keine Sicherheit vortäuschen. Wir beschlossen das "nein" und beendeten damit am 09. August 2018 unser langjähriges Projekt an der Schwarzen Wand. Einen Namen brauchten wir nicht ausdenken, er stand von Anfang an fest: "Das Jubiläumsbuch". Was es mit dem Namen auf sich hat, kann man anderswo auf "alpines-klettern" finden:



Fehlt noch eine "Kleinigkeit": erste Rotpunktbegehung! Weil ich in der fünften Länge ohnehin keine Chance hatte, schlug ich vor, die Route zu dritt zu begehen: einer klettert, einer sichert, einer fotographiert. Franz hörte sich in seinem Freundeskreis um. Und genau eine Woche später, am 16. August sollte es schon so weit sein: Thomas Holler, ein Bergführerkollege aus Garmisch kam mit. Der größte Teil der Bilder stammt aus dieser Aktion. Für Klettern, Sichern und nicht zuletzt das Einhängen des Fotographenseils auch hier nochmal ein großes Dankeschön an Thomas.

Zum Ende des Berichts eine Fotosequenz aus der Schlüsselseillänge ( 9+ ).

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Schwierig, anstrengend, aufregend: Begriffe die, für mich persönlich, höchstens einen Streifschuß darstellen. Einen Streifschuß am "Abenteuer Schwarze Wand", das Schwierigste und Anspruchs­vollste, das ich je in Sachen Klettern unternommen habe.

Grüße, Hans





1sl1Ausgerechnet heute zogen breite Wasserstreifen über die unteren Seillängen. Thomas hängt das Fotographenseil für die erste Länge ein

1sl2Nach oben hin wird's immer nässer. Franz in der ersten SL

2sl1Zweite Seillänge

3sl1Dritte Seillänge: "...always look on the bride side of life..."

4sl1Vierte Seillänge: Kletterherz, was willst du mehr...

4sl2Im kleingriffigen Start der vierten Seillänge

6sl1Sechste Seillänge: nach dem ersten Haken folgt spannendes Anklettern des zweiten Hakens in unendlicher Ferne...

6sl2unterwegs zum zweiten Haken...

6sl3bissl isses schon noch hin...

6sl5Franz hat gut lachen: er weiß, jetzt hat die Route den roten Punkt!

6sl6Fingerspitzenfieselei...